Nicht mehr mein Deutschland Melancholische
Gedanken an ein Land, das ich liebe, aber nicht mehr erkenne. Als
ich ein Kind war, war manches in Deutschland außen hässlich, aber innen
eigentlich recht schön. Die Häuser, die man nach dem Krieg gebaut hatte,
waren hässlich. Die Frisuren waren hässlich. Die Möbel. Die Klamotten. Was
dagegen immer schön war, und wovon es so viel gab, das waren die alten Häuser
in den Städten, die verwinkelten Straßenzüge, die Brücken und Flüsse, die
Festungen und Schlösser. Die reichhaltige Natur, überall, die gepflegten
Parks und die großen Wälder, die Felder und die Weinberge, das Meer und die
Berge. Und
es ging den Leuten gut. Die meisten hatten Arbeit. Und fast keiner musste
sich Sorgen um seine Zukunft machen, oder um seine Sicherheit, oder die
seiner Kinder. Es gab zwar den kalten Krieg, aber der war sehr abstrakt und
berührte uns nicht unmittelbar. Vor allem waren sich die Menschen ähnlicher.
Die meisten sprachen die gleiche Sprache. Sie waren in der gleichen Kultur zu
Hause. Und sie schätzten die gleichen, grundsätzlichen Dinge. Diejenigen, die
hier zum Arbeiten hergekommen waren, die eine andere Sprache sprachen,
begriff man als Gäste, und wenn sie wollten, konnten sie meistens bleiben.
Man behandelte sie mit Respekt, und erwartete, dass sie das Gleiche taten. Die Zeiten ändern sich Heute
ist Deutschland anders geworden, und es wird noch sehr viel mehr anders
werden, für immer. Die Häuser, die man heute baut, sind zwar wieder etwas
schöner als damals nach dem Krieg. Nicht so schön wie vor hundert oder
zweihundert Jahren, aber immerhin. Auch die Möbel sind schöner, und die
Klamotten und die Frisuren. Aber
die Straßen sind kaputter. Die Schulen sind maroder. Und auf den
Bürgersteigen in den Städten schlafen nachts die Obdachlosen. Viele Menschen
haben schlechtere Jobs als früher, sie verdienen weniger und arbeiten mehr,
und sie können sich weniger Dinge leisten, die einen dauerhaften Wert haben,
wie Häuser oder Wohnungen. Überall fahren große, schwere Lastwagen mit
ausländischen Kennzeichen, um Waren in und aus dem Land zu bringen, die
woanders billiger verarbeitet werden, und es gibt ständig Staus. Die Parks
von damals werden nur noch notdürftig gepflegt. Und draußen, in manchen
Wäldern, heulen wieder Wölfe, wie zuletzt vor hunderten von Jahren. Und
vor allen Dingen sind die Menschen anders geworden, gehetzter, und mehr unter
Druck. Viele haben Angst um ihre Zukunft, und um ihre Sicherheit, und die
ihrer Kinder, wenn sie noch welche haben. Die Menschen haben Sorge darum,
dass sie bald weniger besitzen werden, und vielleicht deswegen müssen manche
umso mehr zeigen, dass sie doch noch etwas besitzen. Die Autos sind dicker
geworden, und die Leute in ihnen aggressiver und rücksichtsloser. Die
Menschen, die das meiste Geld verdienen, sind heute jene, die ungehindert anderen
das Geld aus der Tasche ziehen, ein wenig davon behalten, und den Rest nach
oben weiterreichen. Politiker und Lobbyismus In
der Politik hat sich eine selbst überschätzende Gruppe von Menschen an die Macht
bewegt, die zunehmend weiter entfernt ist von den Bedürfnissen und Meinungen
jener, die sie gewählt haben, und die sie in einer Demokratie
selbstverständlich vertreten sollten. Stattdessen sind diese Menschen von
einfachen und überbewerteten Ideologien geprägt und zugleich wissend oder
unwissend mehr denn je an den Wünschen jener orientiert, die mit einer
Mischung aus Einlullung und Manipulation ihre eigenen Vorteile zum Nachteil
aller anderen durchsetzen. In dieser Zeit von Lobbyismus und einseitiger
medialer Verzerrung, mit wenig Ausgleich, Ethik oder humanistischen Werten,
herrschen wieder die Reichsten der Reichen. So
hat man durch die Verlagerung politischer Kompetenzen auf europäische
Behörden die deutsche parlamentarische Demokratie zunehmend geschwächt. Hat
durch die Einführung des Euro die Möglichkeit der Abwertung eigener
staatlicher Schulden genommen. Hat durch die Übernahme von Schulden anderer
europäischer Länder und privater Banken jeden einzelnen Bürger in diesem
Staat verantwortlich für die Fehler und die Gier Anderer gemacht. Und hat
zugleich durch die Einführung der Schuldenbremse im Grundgesetz den Weg für
weitere Privatisierungen geebnet. Gesellschaft im Wandel Und
nicht zuletzt, und wiederum als Folge politischer Entscheidungen, sprechen
heute sehr viele Menschen auf den Straßen und in den Städten überhaupt nicht
mehr meine Sprache. Leben nicht mehr meine Kultur. Kennen nicht mehr mein
Land. Und etliche wollen all das scheinbar auch gar nicht mehr. Sehr viele
von ihnen sind hierher gekommen, weil sie weniger Sorgen haben wollen, und
die Reichen haben sie immer weiter hereingewunken,
weil sie billige Arbeitskräfte und unkritische Konsumenten verlangten, und
die Ideologen, weil sie gerne träumen. Aber wo all diese vielen neuen Menschen
leben sollen, und wo sie arbeiten sollen, und wer alles bezahlt, bis und
falls sie selber einmal Geld verdienen, das hat noch keiner gesagt. Manche
dieser zugewanderten Menschen respektieren mein Land, seine Leute und seine
Werte anscheinend immer weniger, und sie verändern dadurch den Ton und die
Atmosphäre in dieser Gesellschaft nachhaltig. Sie treten fordernd auf, und
nehmen es als selbstverständlich an, dass man ihnen all das gibt, was sich
die anderen Menschen in diesem Land über Generationen hart erarbeitet haben.
In ihren Ansprüchen und Vorstellungen werden sie dabei von jenen unterstützt,
die eigentlich aus diesem Land kommen, es aber selber scheinbar nicht
besonders mögen. Und
vor allem wird gar nicht mehr gefragt, ob all dieser Wandel von der Mehrzahl
jener, die schon lange hier sind, überhaupt gewollt wird. Stattdessen hat man
uns außen ein gleichgeschaltetes Gesinnungsideal und innen einen ungezügelten
Neoliberalismus aufgezwungen. Es ist das Schlechteste aus beiden Welten, und
es zerstört all das, wofür unsere Kultur einst gestanden hat. Freiheit der Meinung Ich
dagegen muss mir heute Sorgen machen, dass ich etwas wie dieses überhaupt
noch sagen oder schreiben kann. Schnell und gerne werden dann Worte wie
Populismus oder Hetze gebraucht, und immer geht es angeblich um Gleichheit
und um scheinbare Toleranz. Aber es geht seltsamer Weise nie um die Toleranz
gegenüber jenen, die sich an die gemeinsamen Grenzen und Regeln dieser
Gesellschaft halten und dies auch konsequent von anderen einfordern. Meinungsfreiheit
ist zu einem Fremdwort geworden. Stattdessen ist denjenigen, die die neuen
moralischen Regeln machen und durchsetzen wollen, zunehmend jedes Mittel
recht. Man
hat sehr wenig gelernt aus der Vergangenheit. Unter den Faschisten und in der
DDR, da hat ein Nachbar den anderen angeschwärzt, manche Menschen ihre
eigenen Partner, und manchmal sogar Kinder ihre Eltern, weil die Kinder es
nicht besser wussten, und man ihnen in der Schule gesagt hatte, dass es
richtig so sei. Und immer hat man nachher den Kopf geschüttelt und sich
angeblich gefragt, wie all das nur kommen konnte. Verordnete Intoleranz Und
nun werden in diesem Land wieder Generationen von Menschen herangezogen, in
den Schulen, den Universitäten, und von einer Politik, die ich nicht verstehe,
und durch die Medien, die dem Staat gehören, oder wiederum sehr reichen
Leuten. Und die Menschen heute lernen, dass Intoleranz gegenüber jenen, die
anders denken, die Kritik üben, und ihnen deshalb als intolerant dargestellt
werden, völlig in Ordnung ist. Auch Denunziantentum. Diffamierung.
Ausgrenzung. Oder Hass und Gewalt. Eigentlich ist vieles fast genau so, wie
es all die Male vorher schon war. Nur, dass heute so viele Menschen
ungebildeter, unmündiger und manipulierter wirken als seit langem. Das
macht mir Angst. Denn wieder lernen die meisten Menschen nur auswendig, was
angeblich richtig und was falsch ist, statt dass sie lernen, selbständig zu
denken. Sind es unsere Gene? Ist es unsere Kultur? Sind wir im Durchschnitt
einfach zu dumm? Es mag von Vorteil sein, sich anzupassen und im Strom zu
schwimmen. Aber es ist verdammt traurig. Und es macht für jene Menschen, die
sich nicht von Brot und Spielen täuschen lassen, die noch über ein wenig
Bildung verfügen und die Fähigkeit zum selbständigen Denken, die die
Zwischentöne hören, und die vielleicht ein besseres Gespür für die Seele der
Dinge haben, das Leben sehr schwer. Was
ich weiß, ist, dass die einzigen Menschen, die von all diesem Irrsinn
wirklich profitieren, sehr wenige, sehr reiche Menschen sind, irgendwo, in
einer ganz anderen Welt als meiner und der der meisten Anderen. Ich
liebe dieses Land. Aber es ist nicht mehr mein Deutschland. Ihre
/ Deine Gedanken? mail (et) nicht-mehr-mein-deutschland.de Dieser Text auf Englisch: How Germany is changing Mehr zu Neoliberalismus, Neofeudalismus und Postdemokratie: nachdemokratie.de Kulturlandschaft in Zeiten von Harvestern und Windrädern: naturleben.net (c) Alle Rechte
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